»LA LE LU – nur der Mann im Mond schaut zu«
Ein »Schlafliedklassiker« der vor 70 Jahren entstand
Dr. Uwe Meißner
Viele nach 1945 Geborene werden dieses Wiegen- oder Schlaflied kennen. Schon die Anfangszeile mag Erinnerungen aufsteigen lassen. Auch heute noch dürften nicht wenige Eltern dieses kleine Gutenachtlied ihren Kindern nach dem Zubettgehen vorsingen, damit diese behütet einschlafen. Neben der Originalaufnahme, gesungen von Lonny Kellner und René Carol, wurden allein im Entstehungsjahr vier Coverversionen aufgenommen. Dass über 20 weitere folgten, darunter 2002 Nenas Interpretation auf ihrem »Tausend Sterne«-Album oder auch zehn Jahre später Annett Louisan auf der CD »Giraffenaffen – Die besten Kinderlieder im neuen Sound«, zeigt, wie beliebt dieses Lied noch ist. Zum »klassischen« Gutenachtlied wurde es 1955 in dem Film »Wenn der Vater mit dem Sohne«, gesungen von Heinz Rühmann und Oliver Grimm.
Komponiert und getextet hat es vor 70 Jahren Heino (Hermann Otto) Gaze, der am 20. Februar 1908 als Sohn eines Anwalts und Notars in Halle (Saale) geboren wurde. Nach dem Abitur (Ostern 1927) auf dem Torgauer Mackensen-Gymnasium studierte er entsprechend dem Wunsch seines Vaters Rechtswissenschaften. Zunächst je ein Semester in Hamburg, Wien, Genf und schließlich von November 1928 bis Anfang 1933 an der hallischen Universität. Seine große Leidenschaft galt jedoch der Musik. Er brachte sich selbst das Notenlesen bei und spielte stundenlang auf dem Klavier.
Im Gegensatz zu seinem Vater, der sich der klassischen Musik verbunden fühlte, selbst Operetten komponierte und Vorsitzen der des Vereins der Halleschen Philharmonie war, hatte Heino Gaze für sich den Jazz, besonders den Swing der späten 1920er Jahre entdeckt. Er gründete wohl noch als Abiturient mit Freunden eine kleine Jazz-Combo und später war Gaze Klavierspieler in Bars zur Finanzierung seines Studiums, vielleicht auch um erste musikalische Erfahrungen zu sammeln. Dabei dürfte er die Musikströmungen seiner Zeit vom Jazz bis zum Schlager oder auch Jazzschlager, wie beispielsweise von den Comedian Harmonists, bedient haben.
Da Heino Gaze nicht in die Kanzlei seines Vaters eintreten wollte, zog es ihn nach Berlin, vermutlich wegen der zunächst noch lebendigen Musikszene, den ungeahnten Möglichkeiten sich dort verwirklichen zu können, sicherlich aber auch um den vorerst noch offiziell geduldeten Jazz zu hören. Der »Niggerjazz« galt spätestens mit dem Rundfunkverbot von 1935 im »Dritten Reich« als undeutsch. Dennoch war der Swing beliebt und viele Jazzer wechselten bei Kontrollen der Reichsmusikkammer im laufenden Stück von der »Negermusik« zum deutschen Volkslied.
Mit deutschen Texten unterlegt und improvisierend swingend ergaben sich bescheidene Spielräume auch für Musiker, die bei privaten Feiern und Festen von NS-Parteifunktionären im Hintergrund begleitend musikalisch wirkten. Ausgerechnet bei einem festlichen Abend im Sommer 1942, zu dem die Tochter einer »Nazi-Größe« in ihre Villa im Berliner Westend eingeladen hatte, spielte Heino Gaze als Pianist verpflichtet, populäre amerikanische Musik (Gershwin, Porter, Ellington u. a.) und lernte dort seine spätere Frau, die »Halbjüdin« Sonja (Senta) Kogan kennen.
Die enge Verbindung mit ihr war nicht ungefährlich. Sie wohnten zusammen und H. Gaze blieb zum Broterwerb vorerst bei seiner Beschäftigung in der Personalabteilung der C. W. Kayser & Co – Niederschöneweide AG, einem bedeutenden Unternehmen zur Verhüttung und Verwertung von kupferhaltigem Altmaterial. Durch die Bechterewsche Krankheit, eine rheumatische Erkrankung der Wirbelsäule, war Gaze vom Kriegsdienst befreit, litt aber sein Leben lang unter starken Rückenschmerzen. Dieser Umstand hinderte ihn nicht, mit eigenen Kompositionen weiterhin Musik zu produzieren und zu spielen, so dass er kein Unbekannter unter den Musikern und Textern in Berlin blieb.
Halb ausgebombt durchlebten beide beschwerte Wochen sehr zurückgezogen bis zum Ende des Krieges als »Kellerkinder«. Nach der Befreiung spielte Heino Gaze zunächst für Offiziere der sowjetischen Besatzungstruppen, die die deutsche Musik und Kultur schätzten, mit dem Eintreffen der westlichen Siegermächte schließlich auch für die Amerikaner, so beispielsweise mehrfach für den amerikanischen Oberbefehlshaber General Eisenhower in seiner Villa im Grunewald.
Die Russen wollten durch Kultur den Geist der Nazidiktatur austreiben. Dazu gehörten auch Kabaretts, wie das »Kabarett der Komiker« geleitet von Willi Schaeffers, der Ende August 1944 den Spielbetrieb am Lehniner Platz in Berlins Mitte einstellen musste. Er verpflichtete noch im Juni 1945 Heino Gaze als musikalischen Leiter, der am Klavier mit anderen Musikern die Aufführungen begleiten sollte. Alte Bekannte wie Georg Thomalla, Evelyn Künneke, Nina Consta, Brigitte Mira und andere wurden aus den Trümmern heraus engagiert.
Diese Zäsur verschaffte H. Gaze die lang ersehnte Möglichkeit, sich ganz der Musik zu widmen, ja vielmehr noch diese innere Berufung zum Beruf werden zu lassen.
Er arbeitete an vielen Revuen und Liedern des Kabaretts, die von ihm mitverfasst wurden oder ganz aus seiner Feder stammten. Ein großer Erfolg in diesen Jahren war die Revue »Melodie der Straße«.
Nach dem Ende der Berliner Blockade im Mai 1949 war auch die Zeit des Kabaretts für ihn vorbei und er konnte endlich freiberuflich arbeiten. Von nun an beschäftigte sich Heino Gaze mit dem Komponieren. Obwohl er das während der musikalischen Leitung des Kabaretts der Komiker nur nebenbei tun konnte, hatte es ihn bereits in viele Funkhäuser geführt und in Kontakt mit einigen bedeutenden Orchestern gebracht.
Er komponierte und textete für rund 40 Filmproduktionen. Aus der Liste seiner Filmographie seien erwähnt u. a. »Pension Schöller« (1952), »Pünktchen und Anton« (1953), »Wenn der Vater mit dem Sohne« (1955), »Der müde Theodor« (1957) und »Ach Egon!« (1961), beide letztgenannten mit Heinz Erhardt in der Hauptrolle. Zudem wurde Gaze durch zahlreiche Schlager erfolgreich, die heute wohl längst vergessen sind oder als »Ohrwürmer« zu bestimmten Anlässen, wie beispielweise zum Karneval gesungen, noch verbreitet sind. Heute weiß man oft nicht, wer diese Lieder geschrieben hat, vor allem, in der bis 1990 bestehenden DDR, obgleich viele seiner Schlager auch zur frühen DDR-Tanzmusik der 1950er und Anfang der 60er Jahre gehören. Er komponierte und textete gelegentlich viele der seinerzeit bekanntesten Schlager, wie beispielsweise: »Hab’n Sie nicht ’ne Braut für mich« (1951), »Egon« (1952), »Die Bar von Jonny Miller« (1955), »Kalkutta liegt am Ganges«, »Schnaps das war sein letztes Wort« (beide 1960), »Shake Hands« (1964) gesungen von Drafi Deutscher, den er 1962 für das Showgeschäft entdeckt hat. Auch für die junge Katja Ebstein (eigentlich Karin Ilse Witkiewicz) komponierte Gaze die ersten ihrer Schlager und Lieder, mit denen sie zunächst wenig Erfolg hatte.
In einer Grunewaldvilla am Hundekehlesee in Berlin fand Heino Gaze endlich sein Refugium, in dem viele seiner Kompositionen entstanden und das zugleich auch seine beiden Musikverlage sowie ein Tonstudio beherbergte. Es war wohl schließlich die freiberufliche Unabhängigkeit, die ihn in den 1950er und 60er Jahren zu einem der oft gespielten Komponisten der leichten Unterhaltung werden ließ. Seine Musik war von Film und Fernsehen bekannt und fast jeder Sender hatte sie in seinem Radioprogramm.
Schaut man aus heutiger Sicht auf diese Zeit des Aufbruchs nach der Befreiung, so erkannte Heino Gaze, wie wichtig sein Beitrag für die Unterhaltung in dieser Aufbauzeit werden könnte. Der Erfolg gab ihm Recht. Er starb am 24. Oktober 1967 in Berlin.
Literatur:
Sonja Gaze: Die barfüßige Tänzerin. Autobiographie.
Berlin 2000.
Danksagungen:
Herrn Thomas Kämmer, Halle (Saale), danke ich für die Anregung, Gespräche und Überlassung von Materialien zu diesem Beitrag.
Zudem danke ich Frau Karin Keller, Archivarin des Universitätsarchivs der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg für Auskünfte zu Heino Gaze.
Besonderer Dank gilt der Initiative Berlin-Musik-Museum e. V., die sich engagiert bemüht, noch überlieferte Sammlungen zum Berliner Musikleben zu retten, zu erschließen und einer interessierten Öffentlichkeit zur Forschung aber auch zukünftig in einer musealen Präsentation (Berlin-Musik-Museum in Gründung) anzubieten. Dazu gehören Fotos und historische Materialien aus der Sammlung des Nachlasses von Heino Gaze, die dankenswerterweise erstmals oder nach langer Zeit wieder veröffentlicht werden konnten.
Siehe auch: www.initiative-berlin-musik-museum.de
„LA LE LU – Nur der Mann im Mond schaut zu“. Ein „Schlafliedklassiker“ der vor 70 Jahren entstand.
Uwe Meißner
in: HALLETHEMA 2020. Medien bewegen. Vom Heiltumsbuch zum Digitalvideo.
Hrsg.: Stadt Halle (Saale)
Halle, 2020
Im Original lesen: HALLETHEMA 2020